Mit dem Prototyp der Version 2 stellte die Firma MaxMobility eine komplett überarbeitete Weiterentwicklung des Restkraftverstärkers für Rollstühle SmartDrive vor. Wenn die Umsetzung dieses Prototyps das hält, was der US-amerikanische Entwickler und Hersteller bei der Vorstellung versprach, dürfte eine wesentliche Schwachstelle der Vorgängermodelle (Version 1), die in schwierigen Verkehrssituationen ein nicht nur theoretisches Sicherheitsrisiko nicht ausschließen konnte, beseitigt worden sein: Mit dem neuen MX2 SmartDrive soll das Modul - anders als bisher - in jeder Fahrsituation und vor allem rein intuitiv gebremst und angehalten werden können. Kritisiert hatte dieses bislang fehlende Feature unter anderem auch chronischLEBEN.
SmartDrive-Image: Innovativ und hip
Der SmartDrive gilt seit seiner Markteinführung durchaus zu Recht als innovatives und stylisches System der Restkraftverstärkung für Rollstühle. Der wesentliche Unterschied zu vergleichbaren Produkten wie den bewährten und vor allem bei jüngeren aktiven Rollstuhlfaherinnen und -fahrern ebenfalls beliebten e-motion- und twion-Rädern der Firma Alber: Während in den Konzepten der Firma Alber und vergleichbaren Produkten anderer Anbieteren Naben-Motoren in die Räder des e-motion und twion eingebaut werden, setzte und setzt der SmartDrive von Anfang an auf ein in die Achse der (großen) Rollstuhl-Räder gehängtes Antriebsmodul mit einem relativ kleinen, optisch kaum wahrnehmbaren Rad.
Im Erscheinungsbild macht das einen deutlichen Unterschied. Da das Antriebsmodul hinter und unter dem Rollstuhl auf den ersten Blick kaum zu sehen ist, wirkt das System auf Passanten so, als sei der Rollstuhlfahrer mit reiner Armkraft unterwegs. Wie bei den Alber-Systemen, die äußerlich durch die nicht wirklich cachierten Motoren in den Rädern eher als "motorisiert" erscheinen, funktioniert auch der SmartDrive als reine Restkraftverstärkung: Ähnlich wie ein Pedelec wird bei diesen Modulen die Schubkraft (im Rollstuhl über die Greifreifen) von Sensoren erkannt und per E-Motor verstärkt. Das heißt: Der Rollstuhlfahrer muss mit den Händen immer wieder mehr oder weniger kräftig die Greifreifen bewegen.
Ein anders konzeptioniertes System - etwa der e-fix von Alber - treibt dagegen die Räder des Rollstuhls permanent an. Die Geschwindigkeit wird dabei ebensowenig über die Greifreifen geregelt wie die Richtung: Hier kommt (wie bei großen E-Rollstühlen) ein Joystick zum Einsatz.
In Stress-Situationen kaum zu bändigen
Aber zurück zum neuen SmartDrive: Der hatte bisher ein großes Manko. Wählte man per Knopfdruck an den Seiten des Rollstuhl-Sitzes den "Outdoor-Modus" schaltete der Motor gnadenlos permanent auf die per Greifreif-Schubs bestimmte Geschwindigkeit. Bremsen oder gar anhalten war dann - zumindest bei erreichter Höchstgeschwindigkeit von rund 7,5 km/h - nicht mehr über den Griff zu den Greifreifen, sondern nur noch durch den kräftigen Druck auf einen der beiden Hauptschalter am Rollstuhlsitz: Theoretisch an sich kein Problem, in der Praxis aber ein echtes Sicherheitsrisiko.
Vor allem dann wenn die Hände gerade damit beschäftigt waren, die Geschwindigkeit zu erhöhen, wurde es in Stress-Situationen wirklich gefährlich: Der Rollstuhl ließ sich nicht mehr bremsen. Ich selbst habe bei einem unter diesen Umständen erlittenen Unfall Glück gehabt: Bis auf einige schmerzhafte Prellungen ist mir nichts geschehen; der SmartDrive war allerdings danach nicht mehr zu gebrauchen.
Ob es nun eine Häufung solcher rein systembedingter Unfälle gab oder ob die MaxMobility-Entwickler ihr System einfach aus reiner Vernunft überdacht haben, weiß ich nicht. Tatsache ist erfreulicherweise aber, dass diese gefährliche Schwachstelle im SmartDrive-Alltag mit dem komplett überarbeiteten und demnächst auf dem Markt erwarteten SmartDrive 2 offensichtlich nicht nur erkannt, sondern offensichtlich beseitigt wird; zumindest verspricht das der Hersteller. Echte Tests sind noch nicht möglich: Die ersten Modelle werden frühestens im Juni ausgeliefert.
Wie der Geschäftsführer von MaxMobility, Siegfried Acker, im Interview mit Oliver Fleiner von "behindert-barrierefrei e.V." auf der reha-Messe in Karlsruhe berichtet, hat man mit der neuen Version komplett von den unsicheren Schaltknöpfen am Sitz verabschiedet. Überhaupt: Der SmartDrive MX 2 verzichtet auf sämtliche Kabelverbindungen - und auf den separaten Akku, der bei den bisherigen Modellen unter den Sitz geschoben wurde.
Statt Permanent "outdoor" in einer Fahrstufe mit Sensoren
Geschwindigkeit und Richtung werden bei dem neuen Modell, das im Juni auf dem Markt verfügbar sein soll, weiterhin durch die manuelle Betätigung der Greifreifen bestimmt - das System hat aber neuerdings nur noch einen Fahrmodus, der am Hauptschalter im Fahrmodul ein- und ausgeschaltet wird. Ob die Frau oder der Mann im Rollstuhl langsam, schneller, ganz schnell fahren oder abbremsen will, sollen in der neuen Version "intelligente" Sensoren erkennen (ebenso wie die Richtung), die berührungsfreien Sensoren senden dann die Fahrbefehle verzögerungsfrei über ein gesichertes Bluetooth-Funk-System an das Antriebsmodul (das nach wie vor mit Motor und ziemlich kleinem Allrichtungsrad unter und hinter dem Rollstuhl in einer Steck-Achse des Aktivrollstuhls hängt).
Und in diesem "Herzstück" des SmartDrives MX 2 findet sich die zweite wesentliche Änderung gegenüber den bisherigen Modellen: In das Antriebsmodul, das dann nicht mehr nur 5, sondern 6 Kg wiegen soll, wurde der Akku integriert - und eine Dioden-Anzeige, die in etwa den Lade-Status des Akkus anzeigt.
Der neue, noch kleinere Akku im Antriebsmodul hat eine etwas geringere Kapazität. MaxMobility-Geschäftsführer Acker gibt im Interview mit Oliver Fleiner eine Reichweite von in etwa 16 km an. Seiner Einschätzung nach müsste der Akku auch im neuen SmartDrive "schlimmstenfalls" täglich, eher aber nur alle zwei Tage neu- oder nachgeladen werden.
chronischLEBEN meint:
Style allein ist eben doch nicht alles
Zwar kann man den neuen MX 2 SmartDrive frühestens im Juni testen, aber eines deutet sich doch an: Die US-amerikanischen Ingenieure haben ganz offensichtlich die sicherheitsrelevante Schwachstelle der bisherigen Modelle erkannt und ernst genommen - bei den exorbitant hohen Schadensersatzsummen des US-amerikanischen Rechtssystem nicht wirklich verwunderlich.
Was mich wirklich überzeugen könnte, wäre die Möglichkeit, in allen Fahr-und Verkehrssituationen das Antriebsmodul endlich "zur Räson" bringen zu können - sprich: Der unsägliche nicht intuitiv auszubremsende Permanent-Antrieb im früheren "Outdoor-Modus" ist Vergangenheit. Ob und in welchen Situationen das intuitiv reagierende kabellose Sensor-System, das Bewegungen an den Greifreifen des Rollstuhls verzögerungsfrei und zuverlässig an das Antriebsmodul übertragen soll, das wird sich in der Praxis zeigen. Grundsätzlich halte ich es für alltagstauglich und behindertengerecht.
Der Wegfall von Kabeln entspricht dem Stand der Technik - wenn die drahtlose Verbindung denn auch funktioniert. Hoffen wir's.
Zu verschmerzen sein dürfte für die meisten Fahrerinnen und Fahrer die mäßige Erhöhung des mit dem Akku "angereicherten" Antriebsmoduls: 6 statt bisher 5 kg - das ist für die meisten von uns zu "wuppen": Wichtig sowohl für den Transport im Auto als auch zum Beispiel für das Tragen des Moduls mit Akku zum Aufladen in die Wohnung während der Rollstuhl in der Garage bleibt.
Auch die voraussichtlich geringere Reichweite ist meiner Meinung nach erträglich: Wenn der Akku wirklich mindestens 16 km durchhält, wäre das nicht gerade wenig. Für ausgedehnte Ausflüge wird das allerdings ebenso knapp wie für den Zoobesuch mit seinen vielen Kurzfahrten und Stopps. Hier wäre die Möglichkeit eines zuzuschaltenden Zweitakkus wünschenswert.
Einer der Schwachpunkte des SmartDrives bleibt allerdings: Auch die Erhöhung des Antriebsmodul-Gewichts auf 6 kg bringt im Zusammenspiel mit dem kleinen Antriebsrad nicht unbedingt viel Haftungsdruck auf die Straße - uninteressant bei idealem Untergrund. Problematisch kann das allerdings zum Beispiel auf nicht asphaltierten oder mit ebenen Platten belegten Steigungsstrecken werden.
Jos van Aken
Hier geht es zum Interview, das Oliver Fleiner von behindert-barrierefrei e.V. mit dem Geschäftsführer von MaxMobility Deutschland, Siegfried Acker, führte: